Mittwoch, 15. Juli 2009

Behindertenbericht der Bundesregierung

Heute wurde der Behindertenbericht vom Bundeskabinett verabschiedet. Wie traurig es um inklusive Bildung in Deutschland beschert ist, macht dieser Spiegelartikel sehr schön deutlich.

Ein Meilenstein der Politik für behinderte Menschen sei die Unterzeichnung der Uno-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Das Übereinkommen hatte Deutschland im März 2009 ratifiziert. [...]

Die Bilanz sieht gut aus - auf dem Papier: Deutschland hat sich verpflichtet, behinderte und nichtbehinderte Kinder von Anfang an gemeinsam zu unterrichten und zu erziehen. Frühzeitig und selbstverständlich soll der Umgang der Kinder untereinander sein, gemeinsame Bildung soll weiter ausgebaut werden.

Der große Haken: Bildung ist Ländersache, und somit sind es die Bundesländer, die in der Pflicht stehen, wenn es darum geht, behinderte Kinder und Jugendliche nicht länger in Sonderschulen abzuschieben. Dass die Länder dazu noch immer kaum bereit sind, zeigt der Behindertenbericht der Bundesregierung: "In Deutschland besuchen nur 15,7 Prozent der behinderten Kinder und Jugendlichen gemeinsam eine Schule mit Nichtbehinderten." Ein Satz der untermauert, worüber sich die Eltern von Philipp Koch und mit ihnen Tausende weitere Eltern behinderter Kinder ärgern: Die wohlklingenden Worte in den aktualisierten Landesgesetzen der vergangenen Jahre sind oft nur Lippenbekenntnisse.


Doch was können wir tun? Ich meine, was kann ICH tun? Damit Lola in 5 Jahren auch hier in Leipzig auf eine Regelschule gehen kann, ob integrativ oder als Einzelintegration, ist mir egal. Im Moment gibt es, soweit ich weiss, KEINE Regel-Schule in Leipzig, die Kinder mit Down-Syndrom aufnimmt, selbst nicht in den ersten vier Jahren. Ist das möglich? Kann das sein? Es gibt nur einige Fälle in Orten ausserhalb von Leipzig, wo Kinder mit Down-Syndrom die normale Grundschule besuchen 'durften', aber es sind Einzelfälle. Unglaublich!!!

Kann ich darauf vertrauen, dass sich alles in den nächsten Jahren von selber ändert? Wird die Ratifizierung der UN-Konvention etwas in Bewegung setzen? Müssen wir alle in unseren Kommunen bzw. Bundesländern selber kämpfen oder gibt es auch Einflußmöglichkeiten auf Bundesebene? Was muss geändert werden, damit die bisher an Förderschulen eingesetzten Mittel endlich den Schülern zugute kommen, die Probleme haben, ohne sie deswegen gleich in eine spezielle Schule abschieben zu müssen.

Ich habe mich im Urlaub wieder mit einigen Leuten unterhalten, die als Lehrer bzw. Assistenzlehrer in Schulen in Italien bzw. Spanien tätig sind und war begeistert über die Natürlichkeit, mit der sie darüber sprachen, wie sie Schülern mit Lernproblemen zur Seite stehen, seien sie Legastheniker, haben eine Rechenschwäche, emotionale Probleme wegen Vernachlässigung und Mißbrauch oder wegen Down-Syndrom. Sie begleiten sie, stellen ihnen spezielle Aufgaben, versuchen, ihnen die Lehrinhalte auf ihnen verständliche Art und Weise nahe zu bringen. Oder unterrichten sie nach Bedarf einzeln, wenn sie gar nicht mitkommen. Und natürlich haben die Schüler immer die Möglichkeit, ein Jahr zu wiederholen, wenn es nötig ist. Die Assistenzkräfte arbeiten natürlich eng mit den die Kinder betreuenden Therapeuten zusammen wie Logopäden, Ergotherapeuten und auch Ärzten. Es wird ein gemeinsamer Behandlungsplan entwickelt und von den Lehrkräften in der ganz normalen Schule umzusetzen versucht.

Die Gelder sind doch auch bei uns da, für so eine Art der inklusiven Beschulung, bei der die Mittel da eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden, nämlich direkt beim Schüler. Nur im Moment werden sie dafür eingesetzt, Kinder mit Lernproblemen auszugrenzen. Was können wir persönlich tun, damit sich daran so schnell wie möglich etwas ändert? Oder sollen wir doch besser auswandern? Nach Spanien, in die USA, nach Großbritannien, eigentlich fast überallhin, denn so schrecklich wie in Deutschland ist es fast nirgends.

Doch die Menschen hierzulande finden das scheinbar ok so. Das erklärt auch die grossen Berührungsängste gegenüber Menschen, die in irgendwelcher Hinsicht von der Norm abweichen. Wir haben Angst davor, weil wir diese Menschen nicht kennen, weil wir nie Kontakt zu ihnen gehabt haben, weil man sie 'wegsperrt'. Aber ist es nicht so, dass sie uns erst deshalb 'anders' erscheinen, weil sie 'ausgessondert' werden? Eigentlich sind es doch nur Menschen, die besonderer Hilfe bedürfen. Und unsere Norm eigentlich keine Norm, sondern eine 'gesäuberte Auslese'.


3 Kommentare:

Martin L hat gesagt…

in deinem letzten abschnitt steht wieder das berühmte wort "berührungsängste" - und da setzte ICH an... weil du gefragt hast, 'was kann ICH tun?' also ICH gehe heute abend mit pappa einen trinken... seine firma hat hoffest. da kommen alle... vom pförtner bis zum ober-chef. und ICH werde mich einfach dazusetzen und grinsen. und wehe, einer hat angst, mich zu berühren. vielleicht bringt das einfach ein bisschen normalität - denn es ist nichts anderes. ich bin normal. ein teil dieser gesellschaft. ich lebe nicht nur darin, ich bin ein teil von ihr. und das wiederum lebe ich - heute abend ganz besonders.

Ella hat gesagt…

ich hoffe sehr, dass sich in bezug auf den schulbesuch bald was ändert - damit kinder von klein auf lernen, dass behinderte kinder auch ganz normal mit ihnen in die schule gehen können und damit berührungsängste gar keine chance haben. natürlich auch, damit kinder mit behinderungen optimal gefördert und nicht in sonderschulen abgeschoben werden.
würde sich da mal wirklich was tun, könnte das sooo viel gutes bewirken...

Julia hat gesagt…

Ich glaube es wird einfach noch lange dauern in Deutschland. Die Geschichte hat ihr übriges getan.. Selbst wenn der Schritt geschafft ist, dass unsere Kinder die Regelschule besuchen können, steht die größte Herausforderung dann noch vor uns, denn sie müssem sich dort auch wohlfühlen und das können sie nur, wenn Eltern, Lehrer und Kinder offen und unvoreingenommen sind. Lola und Eddy und all die anderen werden vielleicht die Chance haben auf eine "normale" Schule zu gehen, aber normal wird das deshalb noch lange nicht sein. Wie auch, solange das Down Syndrom als eine unzumutbare Angelegenheit gehandhabt wird und nach wir vor die große Mehrheit, der Eltern, die von der Behinderung in der Schwangerschaft erfahren ihre Kinder abtreiben..wie schnell man zu so einem Schritt "gedrängt" werden kann, weiß ich aus eigener Erfahrung. Wir werden also immer kämpfen müssen für die Rechte unserer Kinder, aber andere Eltern haben das vorher für uns getan und nach uns werden Eltern kommen, die schneller siegen werden! :) Auswandern ist nicht die Lösung meine ich. Obwohl ich das früher immer wollte und jetzt noch manchaml damit liebäugel, aber das hat auch viele andere Gründe, die hier zu vertiefen den Rahmen sprengen würde.