Samstag, 25. November 2017

Sei doch mal ehrlich...

Bist du immer ehrlich?

Sagst Du immer, wie es Dir geht? Wie Du dich tief im Innersten fühlst?

Unbewusst hatte ich es lange als Ideal, immer ehrlich zu sein. Authentisch. Zu meinen Gefühlen zu stehen. Sie auszusprechen. Auch meine Bedürfnisse.

Ich dachte und hoffte, dass sei der richtige Weg.

Aber: wenn alle immer ehrlich sind, ist menschliches Zusammenleben nicht möglich. Erklärte mir meine große Tochter Greta vor ein paar Tagen. So habe es ihre Ethik-Lehrerin gesagt. 

Denn dann müsste man der Freundin offen und direkt ins Gesicht sagen, dass ihre neue Jeans nicht sitzt. Ihr Hintern darin unvorteilhaft aussieht. Aber auch eine andere Hose darüber wahrscheinlich nicht hinwegtäuschen kann.

Dann hätte man eine Freundin weniger.  Und so lächelt man lieber und nickt zustimmend.

Besonders ehrlich ist das nicht. Aber zielführend in Punkto Erhalt der Freundschaft.

Und wenn mich jemand fragt, wie es mir geht? Wie ehrlich antworte ich?

Gut. Wie immer. Viel Trubel zu Hause. Mein Mann ist gerade beruflich stark eingebunden. Und dieser dauernde Regen...

Klartext: Ich weiß grad nicht, wo mir der Kopf steht. Wünsche mir dringend Unterstützung mit den Kindern, im Haushalt und abends meinen Mann, der mich einfach nur hält. Und mir sagt, wie unglaublich gut ich das alles rocke. Und dass ich mit den dunklen Augenringen noch viel schöner aussehe...

Und dann ist fast alles gut, für den Moment.

Subtext (tiefer darunter): Bitte, gib mir die Kraft, einen Beruf zu finden. Der mir ein regelmäßiges Einkommen schenkt, so dass ich mir um den Alltag und die Freuden der Kinder keine Sorgen machen muss. Bitte auch einen Beruf, der mich erfüllt. In dem ich wirklich gut bin und wo ich Lust habe, mich mit ganzer Kraft hineinzuknien. Der mich mit Energie füllt, statt sie mir zu rauben.

Ist das nun ehrlich?

Ein Wunsch ist das. Ein ehrlicher Wunsch.

Aber gehts denn noch ehrlicher?

Ich habe Angst. Dass ich wieder die Lust an meinem Job verliere. Und mich nicht so tief hineinknie, wie es nötig wäre. Dass ich mich wieder selber sabotiere und Dinge schleifen lasse. Weil mir die Kraft fehlt, die Lust, oder was auch immer. Zur Not sind die Kinder schuld. Oder mein innerer Schweinhund. Oder meine Überzeugung, dass ich alles kann, aber nichts richtig.

Bin ich also doch determiniert? Immer wieder zu scheitern?

Ich hab's: meine Ansprüche sind zu hoch. Darüber stolpere ich.

Also bitte, hilf mir, meine Ansprüche so realistisch zu halten, dass ich sie erfüllen kann und - von dem, was ich schaffe, erfüllt bin.

Eigentlich ist es doch gar nicht so schwer, ehrlich zu sein.

Naja. Vor dem Chef müsste ich es anders formulieren.

Wahrscheinlich würde ich versprechen, meine Ziele realistischer zu formulieren. Und mich aktiv weiterzubilden, um meine beruflichen Kompetenzen stetig zu verbessern.

Oder ganz anders.

Ich könnte ihm sagen, dass er mich mal kreuzweise kann. Und wenn er meine Arbeitskraft nicht schätzt, dann soll er sich doch jemand anders suchen. Abgesehen davon, dass er sich bisher noch nicht dafür interessiert hat, was ich inhaltlich überhaupt mache.

Das wär doch mal ehrlich!

Aber zielführend? Was den Wunsch nach Sicherheit und beruflicher Erfüllung angeht? Und wie würde ich dastehen?

Ich könnte den Chef auch einfach freundlich grüßen. Seine unausgesprochene Kritik an mir abperlen lassen, ohne dass sie mein Innerstes berührt. Mich in Frustrationstoleranz und Demut üben. Und mir still und heimlich einen anderen Job suchen.

Eine echte Berufung.

Wie ehrlich soll ich nun sein?

Wie ehrlich bist Du?

Am Ende will ich vor allem einer Person gegenüber ehrlich sein: Mir selbst.

Mir ehrlich eingestehen, dass ich Fehler gemacht habe. Dass ich nicht mein Bestes gegeben habe.

Dass ich Angst habe.

Dass ich aber auch wieder aufstehen kann. Weitergehen. Mit erhobenem Kopf. 

Und mir etwas beruflich aufbauen möchte, was mich erfüllt. Was meinem Leben Sinn gibt. Und anderen Menschen nützt.

Und das ist mein ehrlicher Wunsch!

1 Kommentar:

Inselzauber hat gesagt…

Liebe Amelie,
Du sprichst mir aus tiefster Seele. Was Du beschreibst kann ich nur unterschreiben.
Ich wünsche uns eine erfolgreiche Suche, eine Achtsamkeit mit uns selbst, Milde walten lassen zu können und vorallem endlich einmal eine gesicherte und zuverlässige Unterstützung zuhause, die uns verlässlich aufatmen lässt.
Hab eine gute Adventszeit. Von Herzen Kirsten